Meine lieben kirgisischen Freunde,
diese persönliche Anrede wähle ich, da ich sicher bin, unter den Zuhörern dieser Rede Freunde zu haben. Seit 2004 fahre ich regelmäßig nach
Kirgistan und ihr, meine kirgisischen Freunde, habt mein Leben bereichert.
Warum kann ich nicht selber kommen? Meinen nächsten Besuch muss
ich verschieben, weil ich in Gummersbach sehr viel zu tun habe. Und
nun ist leider auch meine Mutter schwer erkrankt. Ihr Tod ist nicht mehr
fern. Ich bitte deshalb um euer Verständnis, dass ich nicht persönlich
anwesend bin.
Natürlich denke ich in diesen Tagen viel an meine Mutter, deshalb möchte
ich das Jubiläum der Telematik mit ihr verbinden.Meine Mutter hat
sich immer für ferne Länder und speziell für Kirgistan interessiert, ihr
würde dies gefallen.
Meine Mutter wurde im Jahr 1918 geboren, sie ist fast 98 Jahre alt. Bedenken
wir einmal, wie sich die Welt in diesem einen Menschenalter
geändert hat. 1918 war das Telefon eine Erfindung, die nur von einigen
Geschäftsleuten genutzt wurde, die meisten Menschen konnten damit
noch nichts anfangen. Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie in ihrer
Kindheit mit ihren Freundinnen an die Straße gelaufen ist, wenn ein Auto
vorbei kam – ein Auto war eine Sehenswürdigkeit. Und Bishkek war
gerade einmal 40 Jahre alt. Die Stadt wurde gegründet im Jahr 1878, so
steht es in Wikipedia.
In ihrem Leben hat sich die Welt grundlegend geändert: Fast jeder
Mensch nutzt heute das Telefon. Auch in den Dörfern des Toktogul haben
die Schulkinder oft schon Smartphones. Und die Kosten für alle
diese Telefongespräche sinken kontinuierlich. Wir können z.B. von
Deutschland aus kostenlos stundenlang Skype-Videotelefonate mit der
Telematik führen, um Bachelorarbeiten zu prüfen.
Warum ist dies so? Der technische Fortschritt ist verbunden mit immer
preiswerteren Energiequellen immer besser funktionierender Automatisierung.
Beides reduziert die Kosten und den Aufwand für technische
Prozesse. Diese Entwicklung setzt sich kontinuierlich fort: Große Kohleund
Gas-Kraftwerke stellen seit Jahrzehnten Energie relativ preiswert
zur Verfügung. In Kirgistan ist Wasserkraft sehr verbreitet, diese Energie ist fast kostenlos verfügbar. In Deutschland arbeiten wir intensiv an der
„Energiewende“: Wir wollen zum Beispiel immer stärker Windenergie
und Photovoltaik nutzen, diese Energien stehen zu geringen Kosten
unerschöpflich zur Verfügung.
Und noch erstaunlicher ist die Entwicklung der Automatisierung oder
Telematik: In den letzten 30 Jahren ist die Leistung der Computer millionenfach
gestiegen: Ein kleiner Computer ist heute viel leistungsfähiger
als die Großrechner von 1980 und anstatt Millionen Euro kostet er weniger
als ein gutes Mittagessen.
Diese Entwicklung wird unser Leben weiter grundlegend verändern: Die
Telematik wird in wenigen Jahren autonome Fahrzeuge ermöglichen. Ich
bin persönlich sehr gespannt, wie ein autonomes Fahrzeug im Autoverkehr
in Bishkek zurechtkommt. Vielleicht muss man einige spezielle
kirgisische Softwaremodifikationen einführen, damit das autonome
Fahrzeug im Autostau vorwärts kommt. Und auf alle Fälle muss speziell
für Kirgistan das automatische Hupen eingebaut werden.
Die technische Entwicklung wird weiter voranschreiten. Damit werden
wir viele Probleme lösen, die jetzt unausweichlich auf uns zukommen.
Die Klimaveränderung und die damit verbundene Erwärmung der Erde
spüren wir inzwischen alle. Gentechnische Veränderungen in Verbindung
mit modernen Bewässerungsmethoden und Ernteverfahren werden
die Probleme der Ernährung lösen.
Schon bei meinem ersten Besuch habe ich gelernt, dass Kirgisen sehr
gerne Fleisch essen. Und ich muss sagen: Hier schmeckt es auch sehr
gut. Allerdings benötigt die Viehzucht sehr viele natürliche Ressourcen.
Auf diesem Gebiet ist ein technischer Durchbruch fast erreicht: Pflanzliche
Rohstoffe können inzwischen so verarbeitete werden, dass das
Endprodukt nicht von einem echten „Hamburger“ zu unterschieden ist.
Wann wird dieser Fortschritt Kirgistan erreichen, wann werde ich ein
Soja-Steak in Kirgistan serviert bekommen? Möglicherweise dauert es
noch etwas, aber für viele dicht bevölkerte Länder mit knappen Nahrungsmitteln
ist diese Entwicklung ein Segen.
Und ihr jungen Menschen, die jetzt Telematik studieren, ihr werdet
wahrscheinlich noch den Bergbau im Weltall erleben. Das könnte etwas
Probleme für den kirgisischen Goldbergbau mit sich bringen, denn angeblich
fliegen im All einige Himmelskörper aus massivem Gold herum.
Meine Mutter ist aufgewachsen in einer Welt weitestgehend ohne Telematik
und noch ohne Computer. Für junge Menschen ist dies heute
kaum noch vorstellbar. Die Telematik ist inzwischen die entscheidende
Technologie für unseren technisch-wissenschaftlichen Fortschritt geworden.
Ohne Computer funktionieren heute weder Verkehr noch Infrastruktur
noch Lebensmittelversorgung. Entscheidende Impulse für unsere
dringend erforderlichen Innovationen in der Zukunft kommen von
Computertechnik und Automatisierung.
Gott war wieder einmal freundlich zu uns, denn es ist eine Gnade des
Schöpfers dieser Welt: Die Computertechnik ist grundsätzlich demokratisch und für jeden nutzbar. Man braucht dafür nicht viel Kapital oder
seltene Ressourcen. Jeder Mensch auf der Welt kann mit einem preiswerten
Computer eine geniale Smartphone-App programmieren und
damit reich werden oder Menschen glücklich machen.
Erforderlich ist nur eine Ressource: Fleißige und intelligente Menschen.
Diese Menschen habe ich hier an der Technischen Universität in Bishkek
gefunden.
Deshalb konnte sich der Lehrstuhl für Telematik so erfolgreich entwickeln.
Wir haben aus Deutschland einige Anregungen und einige wenige
Geräte geliefert, wir gaben Hilfe zur Selbsthilfe.
Die Telematiker haben aus eigener Kraft daraus etwas sehr Gutes gemacht:
Es entstand hier ein High-Tech-Zentrum für die Automatisierung.
Die Telematiker lösen heute komplexe Aufgaben in der Messtechnik und
Automatisierung mit modernen Methoden – sie haben inzwischen europäischen
technischen Standard erreicht. Stichworte wie „Industrial Internet“
oder „Industrie 4.0“ sind für die Telematiker Kirgistans keine
Fremdwörter. Sie sind in der Mitte dieser technologischen Umwälzungen
und entwickeln moderne konkurrenzfähige Applikationen.
Gerne werde ich auch in Zukunft das schöne Kirgistan, meine zweite
Heimat, besuchen. Gerne werde ich dann auch meine zweite Universität,
die Technische Universität Bishkek, besuchen und ich bin mir sicher,
jedes Mal werde ich neue Entwicklungen und Fortschritte in der Telematik
sehen.
Liebe Telematiker, für eure Zukunft wünsche ich Alles Gute und noch
viele spannende Innovationen.
Michael Bongards